La Orotava und das Orotavatal – Auf Humboldts Spuren
Im grünen Norden Teneriffas erstreckt sich das malerische Orotavatal, eines der fruchtbarsten Gebiete der Insel. In seinem Herzen liegt die historische Stadt La Orotava, ein bedeutendes Kulturzentrum mit kolonialem Charme. Die Stadt gehört zur gleichnamigen Gemeinde, der flächenmäßig größten Teneriffas. Der berühmte deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt zeigte sich bei seinem Besuch Ende des 18. Jahrhunderts tief beeindruckt von der landschaftlichen Schönheit und der Aussicht über das Tal.
Seine Begeisterung ist bis heute spürbar. Zu Ehren Humboldts wurde ein Aussichtspunkt, der Mirador de Humboldt errichtet, von dem aus man einen herrlichen Panoramablick auf das Tal, den Atlantik und den majestätischen Teide genießen kann. Rund um das Orotavatal führen zahlreiche Wanderwege durch üppige Vegetation, vorbei an terrassierten Feldern, Pinienwäldern und Vulkanlandschaften. Viele dieser Routen sind eng mit Humboldt verbunden, die Natur Teneriffas auf seinen Spuren zu entdecken und die beeindruckende Vielfalt von Flora und Fauna hautnah zu erleben.
Das Orotavatal beeindruckt nicht nur durch seine landschaftliche Schönheit, sondern auch durch eine erstaunlich vielfältige Vegetation. Das feuchte Klima, begünstigt durch die beständigen Passatwinde, sorgt für ideale Wachstumsbedingungen. Die vom Meer herangeführten Wolken stauen sich an den Hängen und versorgen das gesamte Gebiet zuverlässig mit Wasser, ein Phänomen, das als Wolkenstau bekannt ist. Eine Schlüsselrolle in diesem natürlichen Wasserkreislauf spielt die kanarische Kiefer. Diese einheimische Baumart ist nicht nur besonders feuerresistent, sondern verfügt auch über ungewöhnlich lange Nadeln, mit denen sie Feuchtigkeit aus Nebel und Wolken „erntet“. Das gesammelte Wasser wird nach und nach an den Boden abgegeben, bis zu einem Liter pro Baum und Tag. Dieses einzigartige Zusammenspiel macht die Region ökologisch besonders wertvoll. Auch die Landwirtschaft profitiert von diesen klimatischen Bedingungen. Vor allem Bananenplantagen prägen das Landschaftsbild. In kleinerem Umfang werden zudem Wein und Kartoffeln angebaut, häufig auf terrassierten Feldern, die sich harmonisch in die Umgebung einfügen.
Ein ganz besonderes Highlight erwartet Besucher alljährlich zu Fronleichnam in La Orotava. Ein farbenfrohes, monumentales Kunstwerk, das nur für kurze Zeit bestaunt werden kann. In aufwendiger Handarbeit entstehen riesige Blumenteppiche, die sich über Straßen und Plätze der Altstadt ziehen, gefertigt aus zigtausenden Blüten und fein gemahlenem, farbigem Vulkangestein. Die Motive reichen von kunstvollen Ornamenten bis hin zu detailreichen Heiligenbildern und biblischen Szenen. Als Höhepunkt wird auf dem Rathausvorplatz und der angrenzenden Plaza ein gewaltiges Sandbild gestaltet, ein Meisterwerk aus gefärbtem Sand vom Teide, das Besucher aus aller Welt anzieht. Diese traditionsreiche Kunstform geht zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts und ist fester Bestandteil der Feierlichkeiten rund um das Fronleichnamsfest. Doch gerade ihre Vergänglichkeit verleiht den Teppichen ihre besondere Magie: Nach der feierlichen Prozession werden die Kunstwerke wieder zerstört – und leben im kommenden Jahr in neuer Form weiter.
Sehenswürdigkeiten und koloniales Erbe
Doch auch abseits der Fronleichnamsfeierlichkeiten hat La Orotava viel zu bieten. Der von Palmen gesäumte Platz vor dem Rathaus lädt zum Verweilen ein, sei es für eine kurze Rast oder einen entspannten Aufenthalt im Schatten der historischen Gebäude. Hier spürt man den besonderen Charme der Stadt, der sich in ihrer gut erhaltenen Architektur widerspiegelt. Zu den sehenswertesten Bauwerken gehört der Palacio Municipal, das prächtige Rathaus im Kolonialstil. Gleich daneben findet sich die alte Pfarrkirche Nuestra Señora de la Concepción, deren barocke Doppeltürme und aufwendige Fassade besonders beeindruckend sind. Für Naturliebhaber empfiehlt sich ein Besuch des Botanischen Gartens, in dem eine Vielzahl endemischer und exotischer Pflanzenarten zu bewundern ist. Ein absolutes Highlight ist jedoch die berühmte Casa de los Balcones, das „Haus der Balkone“. Dieses prachtvolle Patrizierhaus aus dem 17. Jahrhundert zählt zu den schönsten Beispielen traditioneller kanarischer Baukunst. Besonders die kunstvoll geschnitzten Holzbalkone machen es zu einem echten Blickfang. Ursprünglich diente das Gebäude als Wohnsitz einer adligen Familie, später als Schule und beherbergt heute ein Museum, das Einblicke in das Alltagsleben und die Handwerkskunst vergangener Jahrhunderte bietet. Ein Muss für alle, die sich für Geschichte und Architektur interessieren.
Traditionelles Handwerk und lebendige Kultur
Ein Besuch der Casa de los Balcones lohnt sich nicht nur wegen ihrer beeindruckenden Architektur. Im Inneren des Hauses können Besucher die alte Kunst des Stickens bewundern. Kunsthandwerkerinnen zeigen hier live, wie filigrane Tischdecken und Textilien nach traditioneller Technik gefertigt werden, ein faszinierender Einblick in das kanarische Kunsthandwerk. Neben fein gearbeiteten Stoffen bietet das Haus auch eine Auswahl an typischen kanarischen Musikinstrumenten wie der Timple, einer kleinen fünfsaitigen Gitarre, oder den Chácaras, den traditionellen Kastagnetten. Im begrünten Innenhof beeindruckt eine alte Weinpresse, die an die landwirtschaftliche Vergangenheit des Hauses erinnert. Im oberen Stockwerk befindet sich das eigentliche Museum, das original eingerichtete Wohnräume zeigt, ein authentischer Blick in den Alltag einer Aristokratenfamilie des 17. und 18. Jahrhunderts. Möbel, Dekor und Gebrauchsgegenstände vermitteln eindrucksvoll das Lebensgefühl vergangener Zeiten. Direkt gegenüber befindet sich die Casa del Turista, das „Haus des Touristen“. Auch hier können Besucher Souvenirs und lokales Kunsthandwerk erwerben. Besonders sehenswert, die Herstellung eines Sandteppichs in Miniaturform sowie die Präsentation originaler Töpfereigegenstände, die auf traditionelle Weise gefertigt werden.
Auf Entdeckungstour durch La Orotava
Wer den Ort La Orotava auf eigene Faust erkunden möchte, kann der Route der kulturellen Sehenswürdigkeiten folgen. Diese führt durch die gesamte Altstadt und verbindet die wichtigsten historischen Bauwerke und Plätze miteinander. An den jeweiligen Gebäuden informieren Informationstafeln über Geschichte, Architektur und kulturelle Bedeutung, ideal für alle, die tiefer in die Vergangenheit der Stadt eintauchen möchten. Nach einem ausgedehnten Rundgang laden zahlreiche Bars, Cafés, Tavernen und Restaurants zum Verweilen ein. Ob ein erfrischendes Getränk auf einer schattigen Terrasse oder ein typisches kanarisches Gericht mit Blick auf das Tal, in La Orotava findet sich für jeden Geschmack ein passender Ort zur Erholung und zum Genießen.
Ein Garten am Hang des Teide
Ein besonderes Kleinod inmitten der Stadt ist der Parque Jardín Victoria, eine liebevoll gestaltete Gartenanlage, die mit farbenprächtigen Blumenbeeten, zierlichen Brunnen und gepflegten Wegen begeistert. Die terrassenförmig angelegte Anlage lädt zum Flanieren und Verweilen ein. Auf der obersten Ebene thront ein kleines Mausoleum, von dem aus sich ein atemberaubender Blick über die Dächer von La Orotava, weiter bis nach Puerto de la Cruz und zum glitzernden Atlantik eröffnet, ein perfekter Ort für einen stillen Moment oder ein eindrucksvolles Urlaubsfoto. La Orotava wird nicht umsonst als der „Garten des Teide“ bezeichnet. Eingebettet in üppiges Grün, reich an Kultur, Kunst und Tradition, ist die Stadt ein idealer Ort, um den Norden Teneriffas in seiner ganzen Vielfalt zu erleben.